PROF. DR. KERSTIN WITTMANN-ENGLERT - TRAUERFEIER 18.09.2022
Würdigung des Gesamtwerks - Der Maler Karl Oppermann
Lieber Daniel, lieber Felix und lieber Mauritz, liebe Familie Oppermann,
liebe Freundinnen und Freunde, liebe Weggefährten von Karl Oppermann,
ich bin von Euch, Daniel, Felix und Mauritz, gebeten worden, über Karl Oppermann als Maler zu sprechen. Eine Bitte, der ich hier sehr gerne nachkomme, nachdem ich mich für die Biografie „Karl Oppermann – Prusiano-Latino“, erschienen 1995, intensiv mit seinen Kunstwerken und auch ihm selbst auseinandergesetzt habe.
Zunächst eine kurze Vorbemerkung: Als Kunsthistorikerin habe ich mich mit zwei Künstlern intensiv beschäftigt und über beide publiziert: Rembrandt und Karl Oppermann.
Keine Sorge, hier folgt nun keine vergleichende Betrachtung. Nur ein, für meine Bearbeitung der Themen wichtiger Unterschied sei angesprochen: als ich über Rembrandt schrieb, war dieser bereits lange Geschichte, die Biografie über Karl Oppermann entstand im Dialog mit diesem. So banal diese Feststellung ist, so herausfordernd war die Situation zuweilen auch. Denn Dialog bedeutet auch „Einmischen“. Am Anfang stand beispielsweise das Ringen um die Textform: Ich hatte eine wissenschaftlichere Darstellung im Blick, er eher eine anekdotenreiche, persönliche Perspektive. Nachdem ich in Vorbereitung dieser Rede nochmals in der Biografie las, denke ich, dass wir beide uns ‚durchsetzen‘ konnten.
Damit genug der Vorreden. Im Folgenden möchte ich dreierlei thematisieren:
Erstens: Karl Oppermanns Ausbildung und seine durchaus kritische Einschätzung seiner Zeit mit Blick auf die künstlerischen Tendenzen der 50er Jahre
Zweitens: Anhand ausgewählter Serien auf Motive und Duktus blicken. Dabei leitet mich ein Ausspruch von Ivo Andritsch, den Karl an den Beginn des zweiten Teiles seiner Erinnerung stellte: „Die Kunst ist dem Leben ähnlich; sie ist wie ein Spiel aber im Grunde genommen, ist sie ein verdammt seriöses Ding; je mehr dem Spiel ähnlich umso seriöser wird sie.“[i]
Drittens: Am Schluss steht die Frage nach der Handschrift und ein Zitat von Karl Oppermann, dem nichts hinzuzufügen ist.
Kommen wir zum ersten Teil, zur Frühzeit und damit zur Ausbildung und kritischen Anmerkung über seine Zeit: Karl Oppermann studierte an der Hochschule, an der er später selbst als Professor lehren sollte: der Hochschule für bildende Künste, ab 1975 Hochschule der Künste (und seit 2001 Universität der Künste).
Er studierte bei Curt Lahs Malerei, Ludwig Gabriel Schrieber Bildhauerei und wurde Meisterschüler des Malers Ernst Schumacher. Die Disziplinen nenne ich, da sie einen ‚Ausflug‘ in die Bildhauerei zu erkennen geben. Von Oppermanns Können in der Bildhauerei zeugt die Figur der „Stehenden“, die 1952 in Gips geschaffen und 40 Jahre später in Bronze gegossen wurde.
Ein Exemplar von ihr steht neben meinem Schreibtisch und wird häufig erkundet: Klar in den Konturen, fließend in den Formen, ist diese Arbeit eindrucksvoll und ausdrucksstark. Sie lässt den Lehrer deutlich erkennen. Eine eigene Handschrift war dort aber wohl noch nicht gefunden.
1954 absolvierte Karl Oppermann das Examen zum Kunsterzieher mit der Werklehrerprüfung bei Ludwig Gabriel Schrieber – und ab 1956 war er als freier Maler tätig.
In unseren ersten Gesprächen kam Karl Oppermann immer wieder auf die künstlerischen Tendenzen seiner Zeit und die mit den Namen Karl Hofer und Will Grohmann verbundene Dichotomie von Gegenständlichkeit und Abstraktion zurück. Verständlicherweise beschäftigte ihn dieses Thema sehr. Denn seine Laufbahn als freier Maler fiel just in die Zeit der stärker werdenden Abstraktion in der bildenden Kunst. Karl Oppermann arbeitete in den fünfziger Jahren, wie eine Reihe von Stillleben zeigt, experimentell in der Materialität und mit erkennbaren Motiven, die stark abstrahiert wurden, sprich nicht abbildend. Es sind (ausdrucks-)starke Arbeiten, häufiger in Öl auf Hartfaser gemalt, die die Kenntnis vor allem des Kubismus zum Ausdruck bringen, gleichwohl erste eigenständige Ausdrucksformen darstellen. Im gewissen Sinne kann man schon von kleinen Serien sprechen, doch das serielle Erarbeiten und Durchdringen eines Themas setzt etwas später ein.
Damit komme ich zum zweiten Teil und zu ausgewählten Serien. Wir erinnern uns an den Ausspruch von Ivo Andritsch, den Oppermann am Beginn des zweiten Bandes seiner Erinnerungen („Wechselgesang“) zitierte: „Die Kunst ist dem Leben ähnlich; sie ist wie ein Spiel aber im Grunde genommen, ist sie ein verdammt seriöses Ding; je mehr dem Spiel ähnlich umso seriöser wird sie.“
Warum ist mir dieses Zitat an dieser Stelle so wichtig? Weil Karl Oppermanns Bilder häufig eine Leichtigkeit im Duktus zeigen, die die Strenge und Ernsthaftigkeit der Themen vielleicht nicht konterkarieren, aber in meinen Augen sehr, manchmal zu stark abmildern.
Ein frühes Motiv des Malers ist der Schmetterling. Karl Oppermann hat seine Motive zumeist im eigenen Erleben gefunden. Und dazu gehört als Lebensort der Familie die Stadt Berlin, die in unterschiedlichen Zyklen durchdacht wurde. Hierzu der Maler selbst: „In den frühen Berlin-Bildern … ging es mir ganz wesentlich darum, die Zerstörung der alten Reichshauptstadt im Kontext zu sehen mit ihrer wilhelminischen Vergangenheit, daher also auch eine Vorliebe für diese historisierende Architektur.“[ii]
Karl Oppermann suchte dabei die Auseinandersetzung mit den politischen und sozialen Problemen seiner Zeit. Davon zeugen die frühen Schmetterlingsbilder, in denen der Falter, anknüpfend an die antike Bedeutung, zur Chiffre des Werdens und Vergehens wurde. Dabei kann der Übergang durchaus fließend sein. Im Kontext der Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen der UdSSR im August 1968 wandelte sich der Schmetterling im Verlauf dieses einen Monats zur dunklen, die Zerstörung versinnbildlichenden Motte; dies eine eindrückliche Art und Weise der reziproken, also wechselseitig aufeinander bezogenen Verwendung zweier Motive (Schmetterling-Motte). Sie treten zu gleicher Zeit auch in den Berlin-Bildern auf: der Falter kann dabei ebenso die teilweise Zerstörung des historischen Berlins wie auch die Hoffnung auf Überwindung der inzwischen Gott sei Dank gefallenen Berliner Mauer verkörpern. Oppermann inszenierte den Falter in seiner Fragilität als den idealen Gegenpol zum betonierten Grenzfall. … Und als kleiner Exkurs in die Gegenwart: Der Schmetterling kehrte in jüngerer Zeit wieder in Oppermanns Arbeiten zurück. Unter der spanischen Bezeichnung für Schmetterlinge – „Mariposas“ – fliegt das Tier über Berge, Wälder und Wasser, heute indes fester und präsenter in der Darstellung, stärker und kenntlicher in der Struktur. Die früheren Schmetterlinge erscheinen im Vergleich abstrahierter und ja: leichter. … Doch wie schrieb der Malerpoet Karl Oppermann so treffend: „Leichtigkeit? … Auch Schmetterlinge wiegen“.[iii]
Der geänderte Kontext lässt auch den Falter mutieren: In den sechziger und siebziger Jahren bildete die Metamorphose einen wichtigen Impuls, der in den jüngeren Schmetterlingsdarstellungen in den Hintergrund tritt bzw. verschwindet.
Die zweite Bildserie, an die ich erinnern möchte, ist der „Macuma“ gewidmet: mit ihrer leuchtenden Farbigkeit und der fast skizzenhaft Manier, mit der die Personen zur Darstellung kommen und einem Farbauftrag, dessen Durchlässigkeit an Oppermanns virtuose Aquarelltechnik denken lässt. „Macumba“ – hinter diesem mystischen Begriff angolanischen Ursprungs verbirgt sich ein afrobrasilianischer Kult der Götter mit einem Tanz, der sich durch Trommelrhythmen zur Ekstase steigert. Leuchtende Farben, flüchtiger Duktus und das Thema der Ekstase ergänzen sich perfekt.
Angemerkt sei, dass dies bereits Oppermanns vierte Reise nach Lateinamerika war. Während der ersten Aufenthalte zu Beginn der siebziger Jahre in Venezuela und Kolumbien mehr von dem europäisch-eigenen, dem kolonialen, angetan, wendete sich der Maler 1987 in Brasilien der exotischen Kultur Lateinamerikas zu. Fasziniert von der farbigen Welt brasilianischer Religiosität und Folklore suchte Karl Oppermann, wie es der Kunsthistoriker und Galerist Ernst A. Busche treffend formulierte „nach der menschlichen Grundlage dieser für ihn zunächst fremden Welt und nach dem Zusammenhang mit unserer eigenen scheinbar so ‚ zivilisierteren‘ Kultur“.[iv] Die von der weißen Magie „Macuma“ inspirierten Bilder verbinden sich mit weiteren Bildfolgen wie „Jäger und Gejagte“ sowie „Landgang“, die in zeitlicher Nähe entstanden.
Die Serie „Landgang“ führt uns nach Spanien, genauer: Barcelona, wo Karl Oppermann über viele Jahre zusammen mit seiner Familie an der überaus quirligen „Rambla de las Flores“ das Leben genoss. Ein zweifellos pulsierender Gegenpol zu Berlin und zu Veckenstedt im Harz. Waren es in Spanien zunächst die Matrosen, die ihn motivisch angeregten, so wendete er sich dann den Festlichkeiten der „Semana Santa“ (der Karwoche) zu, in denen sich Schauspiel und Mysterium verbinden.
Dabei ist es wiederum nicht die realistische Wiedergabe der Ereignisse, die Karl Oppermann interessierte.
Es ist vielmehr der mystische Charakter der „Semana Santa“, der sich motivisch in den mit spitzen Kapuzen verhüllten Gestalten konzentriert, die die Prozession begleiten und als Randfiguren in seinen Bildern erscheinen. Es ist nicht die konkrete Geschichte oder die konkrete Person, die hier erzählt bzw. porträtiert wurde. Es sind vielmehr Eindrücke, aus denen sich fiktive Darstellungen entwickeln, die Oppermanns Freude am Umgang mit Farbe und Pinsel erkennen lassen: scheinbar rasch skizzierte Farbflächen, gemalt oder getropft, konturlose Figuren und Gegenstände vor unbestimmten Hintergründen.
Nach der Wiedervereinigung machte sich Karl Oppermann auf in den Harz zu seinen heimatlichen Wurzeln. Veckenstedt löste Berlin als Lebensort ab. Und mit dem neuen Ort kamen neue Themen. Es entwickelt sich ein innerer Dialog mit Deutschland, dessen Geschichte und Gegenwart.
Ein krasser Themenwechsel, im Vergleich zu dem vorher auf die Leinwand gebrachten. Hierzu Karl Oppermann „Ausgehend von der Alt- und Neo-Nazi-Welle habe ich in Spanien im Januar [1994] in der Zeitung gelesen, dass auch die alten Kameraden der bewaffneten Grenzorgane wieder ihre Kameradschaftstreffen veranstalten. Es ergab sich also plötzlich eine Einheit von alten und neuen Kameraden – eine Einheit, verbunden durch Engstirnigkeit, Kleinbürgerlichkeit und Biertisch-Mentalität.“[v] Als Folge dieser erschreckenden Erkenntnis formulierte Oppermann das Thema der „Kameradschaftstreffen“. Dass dort weniger das Individuum, als vielmehr ein Typus zur Darstellung gelangt, verdeutlicht die häufigere Verwendung von Schablonen – für Hände, aber vor allem auch für Profilköpfe. Das Repertoire von Oppermanns Auseinandersetzung mit dem wiedervereinigten Deutschland ist groß. Man könnte sagen, auch dies ein facettenreiches „el mundo – un teatro“, um den Titel der gestern im Kloster Hedersleben eröffneten Ausstellung aufzugreifen, die Karl Oppermann noch selbst kuratierte.
Blicken wir nun noch kurz auf die letzten beiden Jahrzehnte. Nach meiner Wahrnehmung sind es weniger neue Themen, als vielmehr neue Perspektiven (auch auf frühere Themen), die aus den Arbeiten sprechen. Dies zeigt sich für mich beispielhaft in einem Vergleich zweier Bilder von 1967 und 2018:
Aus dem Jahr 1967 stammt das Ölgemälde „Nach Ostland ging unser Ritt“, das ein überdimensioniertes Fischskelett vor schwarz-weiß-roter Reichsflagge unter einer Pickelhaube zeigt, zwischen Ruinen am unteren und menschlichen Skeletten am oberen Bildrand: eine Reflexion über die imperialistischen Träume des Kaiserreiches und den hochfahrenden Satz Wilhelms II., dass die Zukunft Deutschlands auf dem Wasser liege.
2018 entstand das Ölgemälde „Staatstrompeter“ – mit übereinstimmenden Attributen: Vor dem Trompeter ein, dieses Mal vertikal ausgerichtetes Fischskelett, das in seiner skizzenhaften Widergabe zunächst gar nicht ins Auge fällt, auf dem Kopf des Trompeters eine Pickelhaube und im Hintergrund wiederum die schwarz-weiß-rote Reichsflagge.
Statt Ruinen und Gebeinen zeigt sich hier im Bildvordergrund eine Gasmaske. Auch die Trompete ist ein wiederkehrendes Motiv. Sie findet sich bei Oppermann in verschiedenen groß- und kleinformatigen Darstellungen, in Öl auf Leinwand ( z.B. der Semana Santa), als Aquarell oder auch collagiert. Die Musik ist ein wichtiges Thema in Oppermanns Oeuvre, das hier nicht weiter erörtert, aber zumindest genannt sein soll.
Es sind vergleichende Betrachtungen wie diese zu den beiden Bildern von 1967 und 2018, die für mich als Kunsthistorikerin – nun mit Blick auf das Gesamtwerk von Karl Oppermann – besonders reizvoll sind. Ich könnte mir vorstellen, dass etliche von Ihnen Werke dieses Malers in ihrer Sammlung haben – auch aus unterschiedlichen Zeiten. Vielleicht gehen Sie also selbst auf die Suche nach motivischen oder auch stilistischen Kontinuitäten in neuen Zusammenhängen.
Karl Oppermann hatte einen ganz eigenen Stil und Duktus, einen persönlichen Zugang zu großen Themen. Betrachtet man das Gesamtwerk dieses Malers, so offenbaren die frühen Arbeiten das Herantasten an die eigene Sprache. Im Wissen um die Kunst und die künstlerischen Debatten seiner Zeit, schuf er bereits in den fünfziger Jahren, wie schon gesagt, eigenständige Lösungen vor allem in der Gattung der Stilllebenmalerei. Sie ist übrigens eine für ihn wichtige Gattung: Mit den vielfältigen Blumenstilleben, die gattungsübergreifend im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind, malte er sich in Bildserien hinein- und auch heraus, wie er es selbst formulierte, und probierte sich in neuen Techniken.
Interessant scheint mir die Frage zu sein, ob und woran wir eine Arbeit von Karl Oppermann erkennen können. Gibt es eine Handschrift, Techniken, Motive, Farben, die auf ihn hinweisen? Ich denke: ja.
Dazu gehört für mich, um nur zwei Punkte herauszugreifen, die bereits mehrfach angesprochene Leichtigkeit des Duktus. Der Farbauftrag ist kraftvoll und leicht, zuweilen gar zart. Was ich damit meine? Karl Oppermann arbeitete nicht mit dicken Farbschichten. Vielmehr scheint in den Gemälden häufig die Grundierung durch oder bei der Verwendung von Schablonen die darunterliegende Schicht.
Zur Farbigkeit: Beim gedanklichen „Durchblättern“ seiner Ölbilder denke ich vor allem an leuchtende Farben und starke Kontraste z.B. in Rot und Blau, einem kräftigen Sonnengelb und variationsreichen Grüntönen.
Doch damit genug der Verallgemeinerungen, die denn sie werden dem vielfältigen Werk nicht gerecht.
Und damit komme ich zum Schluss meiner Rede. Das letzte Wort hat Karl Oppermann: mit einem Zitat aus dem dritten Teil seiner Lebenserinnerungen „Nachschlag“, in dem er sich als Mensch und Maler in präziser und vor allem berührender Weise selbst resümiert:
„Ich danke Gott für die Kraft, ein langes Leben lang malen zu können, hin und her gerissen zwischen Harmoniebedürfnis und dem Drang, die mich unmittelbar bedrückenden politischen Themen zu bearbeiten, dem Geschenk, gute Söhne zu haben, dem Glück, die Freuden der Welt zu genießen, und der unbequemen Pflicht, Missstände beim Namen zu nennen, Kritik laut zu äußern, auch wenn das nicht opportun zu sein scheint.“[vi]
—
[i] Karl Oppermann, Wechselgesang. Erinnerungen des Malers Karl Oppermann, Band 2, Oschersleben 2007, S. 5.
[ii] Kerstin Englert, Karl Oppermann. Prusiano-Latino, Berlin 1995, S. 31.
[iii] Karl Oppermann, Metamorphosen, Berlin 1980, S. 72.
[iv] Ernst A. Busche, Jagdszenen, in: Ausst.Kat. Karl Oppermann, Jäger und Gejagte – Ölbilder 1983-1989, Kunstamt Berlin-Tempelhof, Berlin 1989 (ohne Pginierung).
[v] Karl Oppermann. Prusiano-Latino (wie Anm. 2), S. 95.
[vi] Karl Oppermann, Nachschlag. Erinnerungen des Malers Karl Oppermann, Oschersleben 2010, S. 75.